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Freitag, 23. September 2016

Auswirkungen des Klimawandels auf die Gebirgspflanzen

Der Klimawandel trifft die Gebirge dieser Welt besonders hart. Steigenden Temperaturen führen zur Verschiebungen der klimatischen Höhenstufen mit Auswirkungen auf das Gebirge selbst aber auch Veränderungen der Fauna und Flora. Allerdings ist die Auswirkung auf Organismen schwierig zu erfassen, genaue Daten über die höhenabhängige Verbreitung von Tieren und Pflanzen gibt es erst seit gut 150 bis 200 Jahren. Eine der ersten Arbeiten war dabei die botanische Erfassung des 6.268 Meter hohen Chimborazo im Jahre 1802 durch den Naturforscher Friedrich Alexander Freiherr von Humboldt (1769-1859) und Botaniker Aimé Jacques Alexandre Bonpland (1773-1858). Die beiden Forscher sammelten nicht nur Pflanzen sondern maßen auch verschiedene klimatische Parameter, wie Temperatur und Luftdruck. Die Ergebnisse wurden in 1805 unter dem Titel „Essai sur la géographie des plantes“ publiziert, nebst einem Querschnitt des Gebirges mit den verschiedenen Vegetationsstufen.
Eine moderne Forschergruppe folgte den Spuren dieser beiden Pioniere beinahe 200 Jahre später und kartierte die heutige Verbreitung von Pflanzen und die Schneelinie am Chimborazo, die Ergebnisse wurden 2015 im Paper „Strong upslope shifts in Chimborazo's vegetation over two centuries since Humboldt“ veröffentlicht.
 
Die Forscher kartierten ab 3.800m Höhe in 100m Stufen die dort angetroffene Vegetation. Die Ergebnisse erstaunten die Wissenschaftler. Während Humboldts Untersuchung lag die Vegetationsgrenze bei 4.600m, heutzutage wurden noch bei 5.185m lebensfähige Pflanzen vorgefunden. Eis traf Humboldt auf 4.814m an, heute hat sich die Eiskappe des Chimborazo auf 5.270m zurückgezogen, wahrscheinlich, neben den steigenden Temperaturen, auch aufgrund verminderter Niederschläge. In den unteren Vegetationsgürtel konnten bestimmte Pflanzenarten um die 500 bis 700m höher als zu Humboldts Zeiten angetroffen werden.
 
Auch in den Alpen gibt es einige historische Untersuchungen die die  Auswirkungen des Klimawandels in den letzten 150 Jahren aufzeigen. Der Klimawandel trifft den Alpenraum besonders hart, hier war der Temperaturanstieg vom späten 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts um die  2°C, doppelt so hoch wie im globalem Durchschnitt. Prognosen sprechen von weiteren 2-5°C in den nächsten hundert Jahren. Die höheren Temperaturen haben nicht nur Einfluss auf Felsen und Steinschlag, Gletscher ziehen sich zurück und der Permafrost schmilzt ab, sondern auch auf Pflanzen und Tiere der Alpen. 

Abb.1. Der Rotmoosferner in der Ötztaler Gebirgsgruppe im Jahre 2006.
 
Der Schweizer Alpinist und Botaniker Oswald Heer war einer der Ersten der vegetationskundliche Aufnahmen im europäischen Hochgebirge durchführte. Im Jahre 1835 zählte er nur eine höhere Pflanze – den Alpen-Mannsschild - auf dem 3.411m hohen Piz Linard in der Silvretta-Gruppe.
  • 1864 tauchte der Gletscher-Hahnenfuß und eine Margeriten-Art auf
  • 1895 zwei Steinbrech-Arten
  • 1911 waren es schon weitere acht Arten
  • 1937 waren es schließlich zehn Arten.
Auf der Napfspitze (Zillertaler Alpen) konnte ebenfalls eine Zunahme der Pflanzenarten von 31 auf 53 Arten beobachtet werden. In der Bernina-Gruppe stieg in den letzten 100 Jahren die Artenanzahl von 10 auf 28. Diese Untersuchung zeigte allerdings auch auf das die absolute Diversität in der Höhe abnimmt - die Gipfel werden immer einheitlicher in ihrer Pflanzendecke untereinander.
 
Weit über ein Drittel aller europäischen Gefäßpflanzen findet man den Alpen, ein Ergebnis der geologischen und klimatologischen Vielfalt dieses Gebirges. Allerdings folgen die Pflanzen den abschmelzenden Gletschern. Auf zunehmende Temperaturen reagieren Pflanzen zeitverzögert mit einem Höhersteigen oder mit unterschiedlichen physiologischen Reaktionen. Alpen-Wundklee (Anthyllis sp.) und Moränenklee (Trifolium sp.) steigern zum Beispiel ihr Wachstum. Bei acht häufigen Alpenpflanzen, wie das Flattnitz-Felsblümchen (Draba fladnizensis) und Gegenblatt-Steinbrech (Saxifraga oppositifolia), wurden maximale Vertikalbewegungen von 4m in 10 Jahren beobachtet, viele Arten wandern allerdings nicht oder kaum höher. Jedoch werden Spezialisten durch die wenigen Arten die vom Klimawandel profitieren nach oben hin verdrängt, wo weniger Lebensraum vorhanden ist.

Abb.2. Saxifraga oppositifolia im Gletschervorfeld des Rotmoosferners.

Die Baumgrenze hat sich in den Alpen um 100 Höhenmeter nach oben verschoben, in den dunklen Wäldern können viele lichtbedürftige Pflanzenarten nicht überleben. Montane und Subalpine Arten (Zwergsträucher und Bäume) verdrängen bei ihrem Höhersteigen weiter oben alpine Spezialisten. In verschiedenen Gebirgen der Erde sind Bäume bereits 10 bis 500m höher als in der Vergangenheit anzutreffen, auch breitere Baumringe sind ein Hinweis auf bessere Wachstumsbedingungen für diese Pflanzengruppen. 

Die höchsteigenden Pflanzen in den Alpen sind der Gletscherhahnefuß (Ranunculus glacialis) der auf 4.270m am Finsterahorn noch gefunden wurde, der Gletscher-Mannschild (Androsace alpina), der am Matterhorn auf 4.200m gefunden wurde und der Zweiblüten-Steinbrech (Saxifraga biflora) der bis auf 4.450m steigt. Es sind Spezialisten der offenen Wuchsorte, wie sie Geröllschutt bietet, die in den alpinen Rasen nicht konkurrenzfähig sind. Sie können auch kaum auf höhere Standorte ausweichen, da die Gipfel der Alpen nach oben hin begrenzt sind. Besonders endemischen Arten, die nur auf wenige Gipfel gefunden werden, könnte der Klimawandel gefährlich werden. Die meisten alteingesessen Alpenpflanzen der höheren Lagen können ab einer Temperatur von 5°C wachsen. Beobachtungen zeigen nun das Pflanzen oberhalb der Waldgrenze jedoch nicht einfach auf die Temperaturzunahme reagieren. Ihr Wachstum wird von der Tageslänge im Frühjahr bestimmt. Dadurch entsteht ihnen ein Nachteil zu den Neuankömmlingen. Diese Arten, die sich nach der Temperatur richten, können durch die allgemeine Erwärmung früher mit dem Wachstum starten und sich schneller ausbreiten und so den alteingesessen, lichtorientierten Pflanzen den Platz wegnehmen.

Eine Veränderung der Temperaur und des Niederschlags wirkt sich nicht nur direkt auf die Pflanzen aus, sondern verändert auch ihre Umgebung. Rutschungen und Felsstürze können im Hochgebirge häufiger werden. Steile Felsen und Klippen können Pflanzen nicht hinaufkletter, Der Boden ist in höheren Lagen auch nicht so gut entwicklet wie in den tiefern Lagen. Viele Böden benötigen Jahrhunderte bis Jahrtausende um sich zu entwickeln, erst in einer fernen Zukunft könnte sich daher hoch in den Bergen gute Böden für die ausweichenden Pflanzenarten entwicklen.
 
 

Literatur:
 
GAMS, H. (1935): Das Pflanzenleben des Glocknergebietes. Zs. d.D.u.Ö.AV, Bd.66: 168
KLEBELSBERG, R.v. (1913): Das Vordringen der Hochgebirgsvegetation in den Tiroler Alpen. Sonderabr. a.d.ÖBZ, Jg. 63:23

STEINBAUER, M.J. et al. (2018): Accelerated increase in plant species richness on mountain summits is linked to warming. Nature, Vol.556:231-234

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